25.Okt 2003 / ia |
Jeder Karateka kennt hinlänglich das Phänomen des "Muskelkaters". Allzu oft neigen Sportler wie Betreuer zu der Meinung, das typische Beschwerdebild als tauglichen Indikator für effektive, ausreichend "harte" Trainingsarbeit anzusehen, ohne zu bedenken, daß Schmerzen grundsätzlich als Warnsignal des Körpers zu verstehen sind, in diesem Falle als Hinweis auf Fehl-, Falsch- und Überlastungen oder Überforderungen. Muskelkater ist als nicht ganz zu vermeidende Reaktion der Skelettmuskulatur auf Trainingsreize anzusehen kann jedoch keinesfalls als Wertmesser für die Trainingsqualität gelten, allenfalls indirekt als Hinweis auf die -quantität. Zudem stellt der Muskelkater ein mögliches Hindernis dar; durch kontinuierliche, langsam ansteigende Belastungen und ausreichende "Muskelpflege" sollte versucht werden, diese Hürde weitestmöglich zu vermeiden.
Verschiedene Theorien haben versucht, die Ursachen für das Beschwerdebild zu erklären. Derzeit wird in der Diskussion eine muskuläre Mikrotraumatisierung eindeutig präferiert. Einige Überlegungen und Untersuchungsergebnisse aus der medizinischen Literatur sollen Hinweise für die Trainingsgestaltung ermöglichen.
Die Richtigkeit der Hypothese von einer mechanischen Schädigung ist heute andererseits durch eine Reihe von Untersuchungen belegt: grundsätzlich wird bekanntermaßen zwischen isometrischen (statischen), verkürzenden (konzentrischen) und verlängernden (exzentrischen) Muskelkontraktionen unterschieden (2). Bei Isometrie ist die Kontraktionspannung gleich dem Widerstand oder der Last, die "von außen" auf den arbeitenden Muskel einwirken, d.h., die Entfernung zwischen Muskelursprung und -ansatz bleibt konstant, der Muskel spannt sich gewissermaßen an, ohne sich dabei zu verkürzen. Konzentrische Kontraktionen liegen vor, wenn die entwickelte Spannung größer ist als die Gewichtskraft oder Trägheit, der Muskel sich also verkürzt. Exzentische Kontraktion schließlich besagt, daß die Trägheits- oder Gewichtskräfte größer sind als die entwickelte Kontraktionsspannung, der Abstand zwischen den Muskelenden somit zunimmt, d.h. der Muskel trotz seiner Anspannung also gedehnt, auseinandergezogen wird (a.a.O). Diese Form der Muskelspannung entsteht im wesentlichen bei abbremsenden Bewegungen (6), z.B. der Landung nach einem Weitsprung, aber auch schon beim "Abfangen" des Körpers beim Gehen und Laufen (2). Im Alltag sind nahezu alle Bewegungen Kombinationen dieser drei grundsätzlich unterscheidenden Muskelkontraktionsformen.
Schon 1956 beobachtete Asmussen (4), daß Muskelkater sich eher in exzentrisch (negativ-dynamisch) arbeitender Muskulatur entwickelte als bei positiv-dynamischen Belastungen (Konzentrischen Spannungen): Probanden mußten bis zur Erschöpfung mit einem Bein auf einem Stuhl hinauf (positive Arbeit), mit dem anderen herabsteigen (negative Arbeit, "Bremsen"). Das Aufsteigebein ermüdete zuerst, hatte also den größeren Energieverbrauch. Der Muskelkater entstand jedoch vorwiegend im bremsenden, exzentrisch arbeitenden Bein. Schon diese Beobachtung spricht also gegen die Stoffwechselhypothese. Žhnliche Erfahrungen mag schon jeder Bergsteiger gemacht haben. Die Spannung des Gesamtmuskels ist bei negativer wie bei positiver Arbeit grundsätzlich gleich groß (19, 20). Bei negativer Arbeit werden jedoch zur Erzeugung dieser Spannung weniger Muskelfasern rekrutiert, was sich in elektromyographischen Untersuchungen zeigte (4). Somit verteilt sich die Gesamtspannung bei exzentrischen Kontraktionen auf weniger Fasern, die folglich höheren Einzelbelastungen ausgesetzt sind. Diese Überlegungen haben sicherlich Bedeutung für den Karatesport, dessen Bewegungsstrukturen erhebliche explosiv-ballistische Spannungen (18) aufweisen und somit naturgemäß auch intensive exzentrische, "abbremsende" Muskelkontraktionen. Als Stichwort sei hier das "Arretieren" einer Technik nach größtmöglicher Beschleunigung genannt.
Derartige mitunter extrem starke Kontraktionen führen verständlicherweise leicht zu Mikroverletzungen; diese ließen sich in Muskelbiopsien nachweisen (11). Zum grundlegenden Verständnis sind einige Anmerkungen über den feingeweblichen Aufbau der Skelettmuskulatur natwendig:
Die mit dem bloßen Auge sichtbaren Muskelfasern sind jeweils aus rund 1000 Myofibrillen zusammengesetzt, die sich wiederum in ca. 2,5 æm lange Sarkomere aufteilen (5, 13). Das Sarkomer ist die kleinste funktionelle Einheit des Muskels, es kann selbständig kontraktile Spannung erzeugen (2). Die Myofibrillen bestehen also aus einer Aneinanderreihung von Sarkomeren, die wie Kettenglieder an ihren Enden miteinander verbunden sind. Die einzelnen Sarkomere sind dabei durch bindegewebige Zwischenlinien oder -scheiben (Z-Linien) voneinander getrennt; nähere Einzelheiten sind den Lehrbüchern der Histologie zu entnehmen. In den Z-Linien, den schwächsten Stellen dieser funktionellen Einheiten (19), finden sich in der Hauptsache die bei Muskelkater mikroskopisch zu erkennenden Schäden (Abbildung).
ABBILDUNG
Intakte Sarkomere (oben) mit begrenzenden Z-Streifen; bei Muskelkater geschädigte Strukturen (aus 16, nach Friden et al. )
Insbesondere bei exzentrischen Kontraktionen, (auch) bei ungenügender intramuskulärer Koordination werden die Z-Linien durch die äußere Krafteinwirkung auseinandergezogen bis hin zu Zerreißungen (2, 6, 16). Aus diesen mikromorphologischen Schäden resultiert zunächst der bekannte unmittelbare Kraftverlust. Da innerhalb der Myofibrillen keine Schmerzrezeptoren sind (6), kann im Moment der Zerreißung kein Schmerz empfunden werden. Faserschwellung und Austritt schmerzauslösender Stoffe benötigen Zeit; somit erklärt sich der verspätete Schmerzbeginn ("delayed onset muscle soreness", 17). Die Zerreißungen sind zunächst nicht vollständig sichtbar. Defekte Filamente bedeuten natürlich für benachbarte, noch ungeschädigte Struktureinheiten vermehrte Belastung mit erhöhter Traumatisierungsgefahr. Eine Vergrößerung der Schäden und damit Zunahme der Beschwerden ist somit auch noch nach Tagen möglich. Da insbesondere die schnell-zuckenden FT-Fasern (fast-twitch) von solchen Mikroverletzungen betroffen sind, wurde ebenfalls nachgewiesen (11) und dürfte für den Karatewettkämpfer von besonderem Interesse sein.
Für diese "Verletzungshypothese" sprechen weiterhin auch biochemische Befunde mit dem Rückschluß auf vermehrte Umsatzrate im Bindegewebereich (1). Gegen die Stoffwechseltheorie sprechen andererseits auch eine Reihe von Beobachtungen und Überlegungen (16), z.B. die Ergebnisse der Studie von Watrous et al. (1981, 17): Bergablaufen mit 10% Neigung und nur rund 60% der maximalen Sauerstoffaufnahme (58% VO_2max) führte zu keinem signifikanten Laktatanstieg im Blut, jedoch zu schwerem Muskelkater, wohingegen Laufen in der Ebene bei rund 80% VO_2max mit einer Milchsäureakkumulation verbunden war, jedoch ohne Muskelkater. Selbst bei maximaler Ausbelastung steigt die Milchsäure im Blut nach exzentrischen Kontraktionen nur wenig an (12), der Energiebedarf und damit der Stoffwechsel sind also bei negativ-dynamischen Belastungen im Vergleich zu konzentrischen Kontraktionen eher bescheiden, auf die einzelne Muskelfaser wirken jedoch vergleichsweise hohe Kräfte ein (s.o.).
Sollte Muskelkater aufgetreten sein, kann angeraten werden:
Ausgehend von der Ursache einer mechanischen Schädigung ist folgerichtig Schonung anzuraten, nicht jedoch Inaktivität. Verdrängungs- und Dissimulationstendenzen ("Harte Schule...", "Jetzt erst recht!") beinhalten die Gefahr, neue, tiefergehende Läsionen zu setzen und über einen Teufelskreis schließlich dauerhafte Strukturschäden (20). Die ursächlichen, auslösenden Bewegungen sind nur vorsichtig unter Vermeidung hohen Krafteinsatzes erlaubt. Mildes Dehnen (7) zur Beseitigung von schmerzinduziert-reflektorischen Verspannungskomponenten ist zu befürworten, ebenso wie leichte positive Arbeit zusammen mit Wärmeanwendungen (heißes Duschen oder Baden, auch Sauna). Athlet und Trainer seien sich im Klaren, daß solche durchblutungsfördernden Maßnahmen zur vorübergehenden Schmerzlinderung dienlich sind, die eigentliche Ursache - Mikroverletzungen - aber natürlich nicht beseitigen. Hierfür benötigt der Körper Zeit zur Selbstheilung. Der Einsatz von Phytopharmaka und homöopathischen Arzneimitteln in Prophylaxe und Therapie zeigt empirisch in Einzelfällen durchaus Linderung, ist jedoch noch nicht hinreichend erforscht. Massagen, insbesondere intensive, tiefgehende Manipulationen sind trotz ihrer prinzipiell durchblutungsfördernden Wirkung nicht zu empfehlen; offensichtlich werden hierdurch neue Läsionen gesetzt bzw. bestehende Mikroverletzungen akzentuiert: physikalische wie biochemische Befunde bei Muskelkater lassen sich durch Vibrationsmassage verstärken (9):
Hinweis: Dieser Artikel entstammt einer Artikelserie des Rundbriefs aus den 90er Jahren.
Ingo @verdunk
Last change: $Id: muskelkater.htm,v 1.2 2003-10-26 12:16:19+01 ingo Exp ingo $