1.Juni 2002 / ia

Karate im mittleren und späten Erwachsenenalter

eine Herausforderung für Vereine und Verbände

Neukeferloh - Glaubt man den Erhebungen des statistischen Bundesamtes so werden bereits im Jahre 2030 über 30% der Gesamtbevölkerung Deutschlands über 60 Jahre alt sein. Soziale Einrichtungen werden sich in Zukunft auf die Befriedigung der Bedürfnisse eines sehr großen, "alten" Bevölkerungsanteils einstellen müssen. Und dies gilt vor allem auch in den Sportverbänden, wollen sie einerseits die Anzahl der Mitglieder erhöhen und andererseits eine innere Fortentwicklung ihrer Sportart als gesundheitsfördernde, lebensbegleitende Maßnahme vermitteln. Heute sind etwa 84% der Mitglieder des Deutschen Karate Verbandes jünger als 36 Jahre, danach folgt ein sehr starker Einbruch. Mit ein Grund können die jahrelange Konzentrierung der Mittel auf den Leistungssport, fehlende Inhalte bei der Ausbildung von Übungsleitern und Trainern aber auch Mißverständnisse, die noch immer über Karate in der Allgemeinheit verankert sind, sein. Es liegen also in der Altersgruppe ab 35 noch große Potentiale für die Karate-Fachverbände, Mitglieder zu gewinnen und sich als ehrenamtliche Gesundheitsvorsorge zu etablieren. Der Bayerische Karate Bund, namentlich Uwe Chszaniecki, Ressortleiter des BKB für Breitensport und traditionelles Karatedo, reagierte auf diese Entwicklung und hat mit einer Lehrgangsreihe und Fortbildungen ein Maßnahmenpaket ins Leben gerufen, dass mit einem bayernweit ausgeschriebenen Lehrgang in Neukeferloh bei München startete.

Eine derart breite Resonanz, wie sie dann auftrat, hatte man dennoch nicht erwartet. "Ich glaubte, wenn es gut läuft," so bemerkte Chszaniecki vor den Teilnehmern, "würde ich etwa 20 bis 30 Teilnehmer begrüßen". Dass es letztendlich über 50 Dojoleiter, Übungsleiter und andere Interessierte waren, die die kleine Turnhalle des ausrichtenden Dojos vom TSV Grasbrunn- Neukeferloh füllten, wagte keiner der beiden Lehrgangsleiter Uwe Chszaniecki und Michael Schölz auch nur zu hoffen. Einmal mehr eine Bestätigung dafür, wie ernst das Thema "Karate im mittleren und späten Erwachsenenalter" im BKB und von den Vereins- und Abteilungsleitern der Dojos genommen werden muss. Es entsteht nicht nur ein wachsender Bedarf an Angeboten, Karate dieser Altersschicht näherzubringen, sondern auch eine stetig steigende Nachfrage der Verantwortlichen in den Dojos an die Sportverbände, Informationsmaterial und andere Hilfestellung zu geben.

Im straffen Lehrgangsprogramm wurde vor allem Kommunikation und Erfahrungsaustausch in den Vordergrund gestellt. "Unsere Erfahrungen in diesem Bereich sind noch sehr rudimentär und beschränken sich auf unsere eigenen Beobachtungen" so Chszaniecki in seiner Begrüßung, "dabei ist es von grundlegender Bedeutung, zu erfahren, was die Trainingsteilnehmer beobachten und wie sie darauf reagieren." So lernten auch bei diesem Event nicht nur die Teilnehmer von den Lehrgangsleitern, sondern auch die Leiter von den Teilnehmern. Aber auch Hinweise und Tips zur Trainingsgestaltung kamen nicht zu kurz. In der ersten praktischen Einheit wurde von Uwe Chszaniecki neben zielgruppenorientierter Gymnastik mit vor allem koordinativen und entspannenden Elementen besonders auf die positiven körperlichen Effekte beim bewußten Wechsel von Anspannung und Entspannung eingegangen. Geübt am Beispiel von Kihon (Grundschule), Kata (Formenlauf) und Kumite (Partnerübungen) wurde den Teilnehmern deutlich vor Augen geführt, dass dieser Wechsel Grundlage für eine Förderung des Kime (Kraft) in der Technik und deren Sauberkeit und Exaktheit darstellt. Aber auch, dass, um Karate zu machen, gar nicht soviel Kraft nötig ist. "Manchmal muss man einfach höflich sein, und seinem Gegner den Vortritt lassen." bemerkte Chszaniecki scherzhaft während einer Ausweichtechnik bei einem Angriff. "Das spart Energie!"

Nach einer bereits sehr diskussionsfreudigen Mittagspause ging dann Michael Schölz zu Anfang der zweiten praktischen Einheit ebenfalls auf alternative Aufwärmtechniken ein, um dann speziell auf die Probleme der Kampfkunst Karatedo im Spannungsfeld zwischen Leistungsanspruch und Leistungsfähigkeit einzugehen. "Leider haben noch viele Leute die Vorstellung, dass sie athletisch, beweglich und leistungsfähig wie ein Jugendlicher sein müssen, um Karatedo zu üben." so Schölz. Dass dies aber nicht nötig ist, sondern vielmehr das Karatedo-Training ein Weg bietet, eine gewisse Leistungsfähigkeit in individuell abgestimmten Schritten auch im hohen Alter zu erreichen, wird entweder gar nicht oder oft nur unzureichend vermittelt. Neben dem Leitbild des jugendlich begeisternden Spitzensportlers muss von den Karatelehrern unbedingt das Vorbild des vitalen Alterssportlers gestellt werden. Hierzu müssen auch althergebrachte, westlich orientierte athletische Denkmodelle umgestoßen werden. "Betrachtet man alte Fotos von Karatemeistern aus Okinawa, werden solche Denkmodelle schnell hinfällig." Übertriebene, athletische Stellungen und Techniken, wie sie in den letzten Jahrzehnten im Karatesport Usus waren und zum Vorbild gesetzt wurden und auch noch heute werden, wurden ursprünglich nie praktiziert. Ein sicherer Stand und eine starke Technik hat nur wenig mit Athletik zu tun, sie hängt vor allem vom Verständnis des Wechselspiels der Muskulatur im Körper, von der Atmung und der Entwicklung des Kime als Ergebnis der Lenkung des Ki, der inneren Kraft, ab. Schölz suchte dieses komplexe Zusammenspiel anhand der Kata Taikyoku Shodan zu verdeutlichen. "Durch die extreme Reduktion der Technik in dieser einfachen Kata hat man weniger Probleme, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nämlich das Üben des Standes und des Kime.". Aber auch alternative Ausführungen von Kata wurden angesprochen, sei es als Entspannungs-, Kraft- oder Koordinationsübung. Abgeschlossen wurde die Einheit durch Entspannungsübungen, die sich an einfachen Vitalpunkten und deren Massage orientierte.

Die anschließende, angeregte Diskussion mit den Teilnehmern, moderiert von Chszaniecki, machte dann recht schnell den Wunsch der Übungsleiter nach mehr Unterstützung durch den BKB mittels themenorientierter Lehrgängen deutlich. So wurde neben der Vertiefung der an diesem Tag gestreiften Themen auch der Komplex Selbstverteidigung und der Ausbildung von Prüfern hinsichtlich der Prüfung von Karateka der späten Altersgruppe angesprochen.

Uwe Chszaniecki hat auch bereits hier reagiert, der nächste Lehrgang im Herbst soll bereits die Themen Selbstverteidigung, Vitalpunktstimulation und zielgruppenorientierte Gymnastik als Schwerpunktthemen beinhalten.

Michael Schölz, Medienreferent der Bayerischen Karate Jugend im BKB e.V.

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Ingo @verdunk
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