15.September 2002 / ia

Kata anderer Stilrichtungen - ein wertvoller Pool für Athleten und Trainer

Kata Verschiedene Faktoren haben in letzter Zeit die Frage aufgeworfen, ob es für einen Wettkämpfer eventuell sinnvoll sein kann, auf Kata anderer Stilrichtungen als die, die er selber praktiziert, auszuweichen oder sein vorhandenes Repertoire mit "stilrichtungsfremden" Kata aufzustocken. So werden die zu zeigenden Kata in den ersten beiden Runden in Zukunft je Stilrichtung stark reduziert sein, die Anzahl der Kata, die man aber theoretisch auf dem Weg in ein Finale zeigen muss, ist dagegen erheblich angestiegen. Aber auch die Erfahrungen der letzten internationalen Turniere und die strenge Ausrichtung auf die vier Hauptstile Shotokan, Goju Ryu, Shito Ryu und Wado Ryu tragen zu dieser Diskussion bei, denn es gibt Stile, die zwar starke, talentierte Athleten haben, deren Kata aber nicht für den Wettkampf zugelassen sind.

Ein Athlet steht in einer engen Beziehung zu seiner Kata. Um so mehr kann das - nun im DKV temporär ausgesetzte - Reglement der WKF im Katabereich ein Problem werden, welches nur jeweils zwei (im Goju Ryu drei) festgelegte Kata je Stilrichtung für die ersten zwei Runden zulässt. Liegt einem Athlet die vorgeschriebene Form seines Stils aus verschiedenen Gründen nicht, kann er natürlich pragmatisch reagieren und sie trotzdem trainieren. Der Athlet wird dabei wahrscheinlich nicht zufrieden sein und dies kann sich auf die Leistung niederschlagen. Eine Lösung wäre naheliegend: Das Nutzen der Kata anderer Stilrichtungen. Damit erhöht sich die Anzahl der Kata, die in den ersten Runden gelaufen werden kann, auf theoretisch 9 im Seniorenbereich.

Es gibt also einen reichen Pool an neuen Möglichkeiten, an "neuen" Kata, aus denen ein Athlet gemäß seinen Vorlieben und Möglichkeiten schöpfen kann - auch über die ersten Runden hinaus bis ins Finale. Es stellt sich aber in Vereinen und Kadern noch zu selten die Diskussion, ob ein Kata-Athlet und sein Trainer offen und bereit sein sollte, andere Richtungen aus Gründen des Wettkampferfolges einzuschlagen, auch wenn sie zunächst nicht dem Weg entsprechen, der in seinem Stil vorgegeben ist. Viele Trainer aber auch Wettkämpfer argumentieren heftig gegen eine solch offene Praxis. Doch was spricht eigentlich dagegen? Stellen wir uns einfach mal einen Athleten vor, der sich entschließt, eine Kata aus einer anderen Stilrichtung für den Wettkampf zu erlernen, zu trainieren und auch im Wettkampf einzusetzen. Was kommt auf ihn zu?

Ryoki Abe Er muss zunächst gewohnte Bewegungsmuster verlassen und sich oft ganz neuen Bewegungsmustern, -formen und -ideen hingeben, die seinem Heimatstil oft überhaupt nicht entsprechen. So gibt es starke Unterschiede vor allem im Timing und im Krafteinsatz der einzelnen Technik in den Stilen. Neue Techniken und Stände müssen erlernt werden, altbekannte Techniken und Stände werden oft different ausgeführt, müssen intensiver geübt werden. Diese Eigenheiten der Stile zu erforschen und zu üben, bedeutet natürlich einen erheblichen Zeitaufwand.

Aber auch Loyalität und Integrität dem eigenen Stil gegenüber wird oft lautstark gefordert, und manchmal verleiht ein Trainer seinen Ängsten damit Ausdruck. Werden die anderen, neuen Kata nicht interessanter sein als die alten, die man schon immer übt? Und wird das Erlernen neuer Kata eines anderen Stils nicht dazu führen, dass das Erlernen und Üben der Kata des eigenen Stils vernachlässigt werden muss? Ängste des Heimtrainers, dass dadurch sein Einfluss auf den Athleten und dessen Entwicklung eingeschränkt werden könnte, sind ein nicht unerheblicher Faktor, der meist auch verhindert, dass nicht selten Ratschläge anderer Trainer, seien es die anderer Stilrichtungen oder der Kader, vernachlässigt oder gar ignoriert werden.

Damit ein Athlet Kata anderer Stilrichtungen zu wettkampfreifen Formen ausbauen kann, braucht er offene und tolerante Heim- und Stilrichtungstrainer. Nicht alle Trainer unterstützen vorbehaltlos die Idee, Kata an "Stilfremde" weiterzugeben, damit diese dann erfolgreich im Wettkampf agieren können. Vor allem, da es sich oft nur um eine zeitliche Trainer-Schüler-Beziehung handeln wird. Viel Überzeugungsarbeit und Zeitaufwand ist oftmals auch hier nötig, entsprechende Erfahrungen und zu sammeln und Kata gelehrt zu bekommen. Auch die Heimtrainer werden da gefordert sein. Der Athlet will natürlich die "fremden Kata" regelmäßig trainieren und korrigiert und beurteilt sehen, also muss der Heimtrainer sich mit diesen Kata ebenso oder sogar intensiver als der Athlet auseinandersetzen. Es ist leider zudem noch der Fall, dass Trainingsmöglichkeiten zum Beispiel aus der Richtung Goju und Shito in Deutschland sehr ungleichmäßig verteilt sind. Was damit an Weitsicht, Offenheit und Zeitaufwand abverlangt von Athleten und deren Trainern wird, ist nicht schwer nachzuvollziehen.

Lohnt sich dann der Einsatz von Kata anderer Stilrichtungen überhaupt? Warum sollte man sich den Mühen hingeben, neue Kata zu lernen, sich auf diese Reise in andere Stilrichtungen zu begeben?

Micheal Milon Der für mich im Leistungssport wichtigste und schönste Grund liegt auf der Hand. Mit den neuen Kata erweitert sich der Athlet sein Repertoire erheblich. Gerade der Wettkampf folgt nicht den üblichen Regeln des Karate. Hier geht es um Ausdruck, Athletik, ein bisschen Schauspielerei und letztendlich um ein Ziel, das Gewinnen eines Wettkampfes. Und da hängt viel ab von der Wahl der Kata. Der Athlet kann im Wettkampf gerade beim neuen Flaggensystem taktische Maßnahmen viel einfacher durchführen und die für diesen Moment wichtige und richtige Kata wählen. Sich die Perlen für sich herausziehen zu können, das ist ein wertvolle Eigenschaft eines guten Kata-Athleten. Je nach körperlicher Verfassung und bestimmten Vorlieben bevorzugen die einen kraftvolle Kata, andere leichte, schnelle Kata. Und da können andere Stilrichtungen wertvolle Pools sein, aus denen man schöpfen kann. Zum Beispiel gerade im Bereich der Eleganz haben Goju und Shito eindeutig dem Shotokan und Wado Ryu gegenüber Vorteile, und diese können somit wunderbar genutzt werden.

Dazu ist das Erlernen neuer Kata aus anderen Stilrichtungen eine unschätzbare Möglichkeit, auch Breitensportlich Erfahrungen für seinen eigenen Stil zu sammeln. Dadurch dass man über den Horizont hinausblickt und die Unterschiede zwischen Stilrichtungen kennen lernt, werden technische Zusammenhänge und Bedeutungen der Kata der eigenen Schule oft klarer. Man lernt die technischen und philosophischen Eigenheiten einschätzen und schätzen. Besonders fortgeschrittene Athleten, die in ihrem Stil gefestigt sind und bereit sind, Neues auszuprobieren, sollten die Chance bekommen, ihren Horizont zu erweitern. Eines Tages wird der Athlet eine Aufgabe als Trainer übernehmen. Da ist es wichtig, dass er schon früh in Berührung mit anderen Stilen kommt, sie kennen und respektieren lernt. Er dient ja als Multiplikator für alle anderen und trägt somit zu einem Selbstverständnis bei, dass die Karatefamilie verschiedene Ausprägungen hat und diese sich gegenseitig nicht behindern, aber befruchten dürfen. Hier kann eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den Stilrichtungen angestoßen werden, deren Ziel primär auf lange Sicht die Stärkung der Stile und des Karate als Breitensport sein soll.

Sharsad Mansouri Im Leistungssport in Vereinen und Kadern sollte das Selbstverständnis wachsen, Flexibilität und Variabilität zu zeigen. Hier machen es uns Mannschaften anderer Nationen und Vereine aus dem Ausland längst vor. Deren Athleten wechseln die Stilrichtungen je nach taktischer Notwendigkeit, eine logische und konsequente Verfolgung des Ziels, im Wettkampfsport erfolgreich zu sein. Das Argument "Er/Sie soll erst einmal im eigenen Stil perfekt werden" kann hier nicht ziehen. Die Trennung zwischen dem Wettkampf und dem Karate als Breitensport hat sich längst vollzogen und man sollte als Trainer und Athlet mutig darauf reagieren. Das Verwenden von Kata anderer Stilrichtungen als der Eigenen ist erlaubt und soll als Chance genutzt werden und nicht kleinkariert als "Abtrünnigkeit" deklariert werden.

Ich möchte die Frage, ob es wichtig und gut ist, für den Wettkampf "stilrichtungsfremde" Kata zu nutzen, eindeutig mit ja beantworten. Meine eigene Erfahrung hat gezeigt, dass dies nicht nur dem Wettkampf sehr erfolgreiche Momente verliehen hat. Auch in meiner eigenen Entwicklung als Karateka, Schüler und Lehrer sind positive und richtungsweisende Dinge angestoßen worden, die ohne das Erlernen anderer Bewegungs- und Kampfkunst-Prinzipien nie möglich gewesen wäre. Sich auf diesem Wege einen breiten Horizont zu erarbeiten ist eine verantwortungsvolle, wichtige und vielleicht auch schwer zu realisierende Erfahrung, die aber letztlich nur zum Erfolg für sich selber und für andere führen kann, sei es im Wettkampf, als Trainer oder einfach als Karateka.

Michael Schölz

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Ingo @verdunk
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